Vor Kurzem habe ich eine Ausstellung kuratiert – und dabei stand ich lange vor einem Selbstporträt von Celi Guada. Ich dachte zuerst, ich würde es nur kurz betrachten, doch das Bild ließ mich nicht mehr los. Etwas darin sprach eine stille Sprache, die ich nicht überhören konnte.

Während ich das Werk betrachtete, stellte ich mir plötzlich die Frage: Wie würde mein eigenes Selbstporträt aussehen?

Ein Spiegel, der tiefer geht

Natürlich kennen wir alle den Spiegelblick am Morgen. Aber das hier war etwas anderes. Guadas Porträt wirkte nicht wie ein simples Abbild, sondern wie ein Gespräch mit sich selbst. Es hat mir gezeigt: Ein Selbstporträt ist kein Foto fürs Ausweisdokument, sondern eine Suche. Es fragt: Wer bin ich eigentlich, und wie möchte ich mich zeigen?

Das Gespräch mit der Künstlerin

Da ich die Ausstellung kuratiert habe, hatte ich das Glück, Celi Guada selbst nach diesem Werk fragen zu können. Ihre Antwort hat mich tief bewegt:

„Als ich dieses Werk 2010 schuf, war ich mit meinem ersten Mann verheiratet und seit sieben Jahren zusammen.
Ich hatte alles, was man sich wünschen kann, und vielleicht sogar noch mehr, aber ich war nicht glücklich und wusste nicht, wie ich es in Worte fassen sollte. ... Rückblickend vermittelt dieses Werk genau diese Gefühle: mich in einem Würfel, mit einem Dach, das mich am Fliegen hinderte, und zwei Wänden, die mich stützten, aber in Wirklichkeit erstickte ich.“

Plötzlich stand das Werk nicht mehr nur für sich. Die Worte der Künstlerin legten sich wie eine zweite Ebene über das Bild – und machten die stille Sprache noch deutlicher hörbar.

Zwischen Inszenierung und Ehrlichkeit

Je länger ich über das Selbstporträt nachdachte, desto spannender fand ich diese Balance. Manche stellen sich verletzlich dar, andere mit Stolz und großer Geste. Eigentlich ist es wie heute mit unseren Selfies: Manchmal spontan und echt, manchmal ein perfekt inszeniertes Bild.

Ein Gefühl auf dem Papier

Bei Celi Guada habe ich genau das gespürt – Emotion. Nicht nur ein Gesicht, sondern eine Stimmung, ein Moment. Es war fast so, als hätte ich für einen Augenblick in ihr Tagebuch schauen dürfen. Und genau das ist für mich das Besondere: Ein Selbstporträt zeigt immer auch das Unsichtbare.

Katalog blau 27 Ein weiteres Selbstportrait von der argentinischen Künstlerin Celi Guada.

Mein Gedanke danach

Bei mir bleibt die Frage hängen: Wie würde mein eigenes Selbstporträt aussehen? Es geht dabei gar nicht um eine perfekte Darstellung. Vielleicht geht es eher darum, eine Stimmung einzufangen, einen Zwischenstand meines Ichs.

Und seitdem denke ich darüber nach. Vielleicht wage ich es bald.

Egon Höcker, 22.09.2025