Vielleicht hast du dich beim Rundgang durch die Ausstellung „Auf dem Weg der Sonne“ schon von den kräftigen Farben, freien Formen und stillen Andeutungen einfangen lassen. Besonders in einem Rahmen ziehen zwei Werke die Aufmerksamkeit auf sich – sie gehören zur Serie „Dimensionen des Willkürlichen“ von Celi Guada.
Mich hat interessiert, was hinter diesen abstrakten Kompositionen steckt, und ich habe Celi danach gefragt. Ihre Antwort war nicht nur ein Einblick, sondern fast schon eine Einladung, anders zu denken, zu schauen und zu fühlen.
Sie schreibt:
„Schwierigkeit und Leichtigkeit sind Abstraktionen des Fortschritts.
Nah und fern sind Abstraktionen der Position.
Stärke und Schwäche sind Abstraktionen der Kontrolle.“
Diese drei Sätze öffnen bereits ein Fenster in ihre künstlerische Welt. Die Serie ist inspiriert von der Lektüre des Buches von Lao-Tse. Celi beschreibt, dass sie zunächst über den Verstand Zugang zu diesem alten philosophischen Wissen suchte – und ihn letztlich über das Malen gefunden hat. Durch die Farbe und das Formlose konnte sie etwas erspüren, das sich über Worte kaum greifen lässt.
Sie erklärt dazu:
„Ich versuchte, Zugang zu einem bestimmten rationalen Wissen zu finden, und durch das Malen gelang es mir, die Spiritualität zu spüren, die in diesem Buch steckt. [...] Nur durch die Malerei gelang es mir, etwas von dieser Spiritualität zu übersetzen, darzustellen, die nichts anderes ist als ein tiefes Wissen über das Leben, seinen Ursprung und seine Manifestation in der Natur und im Wesen.“
Wenn du vor diesen Bildern stehst, merkst du vielleicht: Abstraktion ist keine Flucht, sondern ein Dialog — nur eben ohne grammatische Regeln. Die Formen dürfen atmen, die Farben dürfen fragen, und deine eigenen Gedanken dürfen sich dazwischen bewegen. Und genau das ist das Schöne: Du musst nichts „verstehen“. Du kannst fühlen, dich annähern, zurücktreten, neu schauen. Vielleicht entdeckst du darin etwas, das mit dir spricht — oder etwas, das du selbst aufs Papier bringen möchtest.
Denn abstraktes Malen bedeutet nicht Chaos, sondern Freiheit. Es bedeutet, dass du keine Landschaft brauchst, um Bewegung zu spüren, keine Figur, um Gegenwart zu zeigen, und keinen Titel, um Bedeutung zu erzeugen. Ein Pinselstrich kann ein Satz sein, eine Fläche ein Schweigen, ein Kontrast ein Erinnerungspunkt.
In Celis Ausstellung findest du mehrere Serien, die genau das sichtbar machen: dass Kunst auch entstehen darf, ohne zu erklären. Dass Formen nicht abbilden müssen, um zu berühren. Und dass Inspiration oft dort beginnt, wo Kontrolle endet.
Vielleicht nimmst du beim nächsten Besuch der Ausstellung die Lust mit, selbst einmal abstrakt zu malen. Ohne Plan. Ohne Ziel. Einfach, weil etwas in dir spricht.
Egon Höcker, 22.09.2025